Im Nordirak haben die Kurden nach dem Golfkrieg 2003 eine Oase der Stabilität inmitten eines Ozeans der Instabilität und Gewalt geschaffen. Das ist umso bemerkenswerter, als kein anderes Land im Zeitraum von nur einem Menschenleben die zerstörerische Wut so vieler und so unterschiedlicher Konflikte erfahren hat, wie der Nordirak. Kurdistan, eine neue Touristen-Destination also? Bald könnte es so weit sein. Sicher ist, dass es nur wenigen Ländern gelungen ist, eine von Verrat, Krieg, Hunger und Gewalt geprägte Geschichte in so kurzer Zeit zu überwinden.
Die Kurdistan-Kenner Amalia und Werner van Gent haben exklusiv für die GMS eine einzigartige Reise durch das ehemals sprichwörtlich wilde Kurdistan entworfen.
In nur zehn Tagen erfahren die Teilnehmer/Innen unschätzbare Informationen über einen weitgehend unbekannten Abschnitt der jüngeren Geschichte des Nahen Ostens. Nebenbei werden auch die Kultur sowie der Genuss der einmalig schönen Natur Kurdistans nicht zu kurz kommen. Und: nirgends im Nahen Osten wird der Besucher aus dem Westen so offen und so gastfreundlich empfangen wie im Norden Iraks: die Kurden haben nicht vergessen, wer ihnen seit 1991 geholfen hat!
Die während einer Erkundungsreise mit einer vierköpfigen Delegation detailliert ausgearbeitete Reise findet in enger Absprache mit der Regierung der autonomen Region Kurdistan (KRG) statt. Die Kontakte von Amalia und Werner van Gent auf höchster Ebene garantieren eine sichere Durchführung der Reise.
Samstag
Am frühen Morgen Abflug mit Austrian Airlines ab Zürich via Wien nach Erbil, der Hauptstadt der autonomen Republik Kurdistan. Nach dem Check-In im Hotel trifft man sich am runden Tisch im Sitzungszimmer zu einer Einführung in die Reise. Abendessen in der Stadt. Übernachtung in Erbil
Sonntag
Fahrt von Erbil nach Ba’adre. Besichtigung im Gelände mit Blick auf Gaugamila, eines der wichtigsten Schlachtfelder der Antike, wo Alexander der Grosse das gigantische Heer von Darius III schlug. Mittagessen unterwegs. Weiterfahrt nach Lalesh und Besuch der einsam gelegenen und weltweit einzigen Kultstätte der Yeziden, einer der unbekanntesten und zugleich ältesten Religionsgemeinschaften des Nahen Ostens. Weiterfahrt nach Dohuk und Check-in im Hotel. Abendessen in der Stadt, Übernachtung in Dohuk
Montag
Am Morgen Treffen mit einem lokalen Peshmergakommandanten. Begehungen im Gelände und Erläuterungen zum Verlauf des kurdischen Aufstandes vom Frühjahr 1991. Mittagessen in Dohuk. Nachmittags Fahrt in die nördlich von Dohuk gelegene Stadt Zakho. Ein Besuch in der Militärakademie der Peshmerga-Truppen zeigt, wie sich die ehemalige Guerillatruppe inzwischen zu einer modernen Armee entwickelt hat. Rückfahrt nach Dohuk. Abendessen und Übernachtung in Dohuk
Dienstag
Nach dem Frühstück Start zur relativ langen Fahrt durch das landschaftlich sehr reizvolle Barsani-Tal (Zagros-Berge) mit Tagesziel Rawanduz. Unterwegs Besichtigung des Barsani-Memorials und mit etwas Glück Zusammentreffen mit Sheikh Abdulla Barzani, dem Neffen des Kurdenführers Mostafa Barzani. Mittagessen in Form eines Picknicks bei den prähistorischen Shanidar-Höhlen. Zwei weitere Teepausen unterteilen die Fahrt in angenehme Teilstücke. Abendessen und Übernachtung in Rawanduz.
Mittwoch
Morgens Zeit zur Erholung in der Bungalow-Anlage des Hotels. Gegen Mittag Fahrt auf der strategisch wichtigen Passstrasse des Haj Omran an die irakisch-iranische Grenze. Im nach wie vor stark verminten Gebiet sind Minenräumungs-teams im Einsatz. Erläuterungen entlang der ehemaligen Front des längsten Krieges des 20. Jahrhunderts, Teil I. Rückfahrt nach Rawanduz. Abendessen und Übernachtung
in Rawanduz.
Donnerstag
Fahrt durch landschaftlich sehr reizvolle Streckenabschnitte von Rawanduz über Shaqlawa und Dukan nach Süleymanie. Bei der ehemaligen Landepiste der Alliierten auf der Höhe von Harir Orientierung über die Operationen 1990/91. Auf der Weiterfahrt Überquerung der ehemaligen Front zwischen den Talabani und Barsani-Kräften im innerkurdischen Konflikt der 90-er Jahre sowie Überquerung der Sprachgrenze zwischen dem Kurmanja und Sorani-Gebiet. Mittagessen in der Nähe des heiss umkämpften Dukan-Stausees. Abendessen und Übernachtung in Süleymanie.
Freitag
Am Morgen Fahrt ins Städtchen Halabja. Besichtigung des Memorials zu den Al Anfall Operationen in Begleitung eines Überlebenden der Giftgas-Einsätze Saddam Husseins gegen die kurdische Zivilbevölkerung. Weiterfahrt in Begleitung von ehemaligen Peshmerga-Kämpfern nach Penschwin und Qswarta und Erläuterungen entlang der ehemaligen Front im Iran-Irakkrieg, Teil II. Mittagessen unterwegs. Abendessen und Übernachtung in Süleymanie.
Samstag
Morgens Besuch des lokalen Museums im umgebauten, ehemaligen Zentrum des irakischen Sicherheitsdienstes.
Es ist viel Bild- und Kriegsmaterial vorhanden. Auch das ehemalige Gefängnis hat man erhalten. Anschliessend Besuch des Basars. Mittagessen in der Stadt. Gegen Abend Fahrt zum von einem Deutschen geleiteten Kurdischen Kulturzentrum. Apéro und ein einfaches Abendessen im Kulturzentrum. Übernachtung in Süleymanie.
Sonntag
Nach dem Frühstück Rückfahrt nach Erbil. Teepause in der Oase Hiran, Mittagessen in Erbil. Der Nachmittag dient als Zeitfenster für Treffen mit wichtigen Persönlichkeiten aus dem Beziehungsnetz von Werner van Gent. Solche Gespräche können in Kurdistan allerdings nur spontan organisiert werden. Farewell Dinner in einem ausgezeichneten Restaurant. Übernachtung in Erbil.
Montag
Der morgen dient noch einmal als Zeitfenster für interessante Gespräche. Check-out im Hotel. Die Fahrt zum Flughafen unterbrechen wir für eine kleine Mittagsmahlzeit. Am späteren Nachmittag Rückflug mit Austrian Airlines ab Erbil via Wien nach Zürich.
Reiseleitung
Werner van Gent
Fotogalerie
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Vreni Spörry’s Reisebericht
Kurdistan
Nicht wenige unserer Reisemitglieder, die im Bekanntenkreis von ihrer Absicht erzählten, Kurdistan zu bereisen, bekamen zur Antwort: „Du spinnst wohl!“ Wenn man dann sagte, dass die Reise von der GMS organisiert und von Werner van Gent geführt werde, war die Reaktion: „Ja, dann…“
Unser Reiseleiter Werner van Gent kennt Kurdistan, seine Geschichte und seine Bewohner wie kaum ein zweiter Europäer. Er war immer wieder im Land, auch in den dunkelsten Kapiteln seiner jüngeren Geschichte. Als nach dem Ersten Golfkrieg 1988 die Infrastruktur weitgehend zerstört und die Menschen durch Giftgas getötet wurden, als nichts mehr gut war in diesem wunderschönen Gebiet im Norden Iraks, versprach Werner van Gent dort seinen Freunden: „Wenn dann einmal alles wieder gut ist, bringe ich euch Touristen.“
Heute, ein knappes Vierteljahrhundert später, ist vieles wieder gut in Kurdistan, und Werner van Gent brachte mit uns eine der ersten, wenn auch nicht die erste westliche Touristengruppe ins Land. Wir wurden entsprechend herzlich willkommen geheissen und fanden überall offene Türen. Unserer Sicherheit wurde höchste Aufmerksamkeit geschenkt. Die Reise war von staatlichen Stellen koordiniert, und wir wurden sowohl von bewaffneten Militärpersonen wie auch von zivilen Beamten des kurdischen Sicherheitsdienstes auf Schritt und Tritt begleitet.
Wir erlebten die Menschen in Kurdistan als offen, häufig herzlich und überaus gastfreundlich. Auch wenn das Land über weite Strecken sehr karg ist, macht es keinen ärmlichen Eindruck. Man sieht fast nur neue Autos, praktisch alle japanischer Herkunft, überall wird gebaut. Die Haupteinnahmequelle ist das Öl. Kurdistan bekommt von Irak bis zu 18 Prozent der staatlichen Erdöleinnahmen. Es scheint an seine Zukunft zu glauben, und man kann dem sympathischen Volk nur wünschen, dass diese friedlicher wird als es seine Vergangenheit war.
Zur Geschichte Kurdistans: Es gibt heute rund 20 bis 25 Mio. Kurden. Sie sind im Wesentlichen verteilt über die Türkei, Syrien, den Iran und den Irak. Im Irak, also in dem von uns besuchten Kurdistan, leben etwa 4,6 Mio. Kurden. Innerhalb Kurdistans gibt es zwei Bevölkerungsgruppen mit zwei verschiedenen Sprachen. Arbil ist als regionale Hauptstadt gemischtsprachig. Die beiden Sprachen Kurmansch im Norden und Sorani im Süd-Osten sind etwa so unterschiedlich wie Deutsch und Holländisch, was zu Verständigungsproblemen führt. Religiös gibt es dagegen keine Unterschiede, die Kurden Iraks sind zu fast 100 Prozent Sunniten. Die Stämme im Norden wurden jahrzehntelang angeführt durch den Barzani-Clan, die im Süden durch den Talabani-Clan, bei den ersten demokratischen Wahlen 1992 bekamen beide Parteien etwa denselben Stimmenanteil. Um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, wurde eine hälftige Verteilung der Parlamentssitze beschlossen. Mitte der neunziger Jahre kam es dann aber doch zu einem blutigen Bruderkrieg. In der Zwischenzeit haben sich die beiden Stämme jedoch arrangiert: Masud Barzani, Sohn von Mustafa Barzani, ist Präsident von Kurdistan, heute ein Bundesstaat von Irak; sein Neffe Necirvan Barzani ist dessen Ministerpräsident. Dschalal Talabani ist Staatspräsident des gesamten Irak.
Die Kurden sind keine Araber, es sind Indogermanen, und sie stehen damit den Persern bzw. Iranern näher als den irakischen Arabern. 1961 und 1969 haben sie sich gegen die Zentralregierung in Bagdad unter Qasim aufgelehnt. Die Revolte unter Mustafa Barzani (1903-1979) war erfolgreich, und 1970 wurde zwischen Saddam und Barzani ein Friedensvertrag unterzeichnet, in dem die Zentralregierung bezüglich Sprache und eigene Schulen in Kurdistan Zugeständnisse machte. Doch die Geschichte Kurdistans ist eine Geschichte der gebrochenen Versprechen. Versprechen und Friedensverträge mit dem Iran oder dem Irak, aber auch mit den Alliierten, wurden immer wieder nicht eingehalten, und die Hoffnung auf Autonomie wurde immer wieder zerstört. Die Aufstände mit den unterschiedlichsten Allianzen führten die Peshmergas. Sie sind jene, „die dem Tode ins Auge sehen“, „die den Tod nicht fürchten.“ Heute sind die Peshmergas in Regionalgarde umbenannt und umfassen ungefähr 100’000 Mann.
In den Siebzigerjahren schlossen die Kurden mit dem Iran eine Allianz. Sie wurden vom Iran und von der UdSSR bewaffnet mit dem Ziel, das Regime Saddam zu zerschlagen. Erneut wird ihnen die Autonomie versprochen. Doch 1975 einigt sich der Iran mit dem Irak. In der Vereinbarung von Algier wird das Versprechen auf Autonomie an die Kurden erneut gebrochen. Seitens des Irak führt das zu gezielten und fortgesetzten Versuchen der Arabisierung der kurdischen Gebiete, die 1978 zu Deportationen und Umsiedlungen führen.
Die drei Golfkriege: Im Ersten Golfkrieg 1980 bis 1988 greift der Irak den Iran an. Die Kurden sind auf der Seite des Iran. Aus Sicht von Saddams Baath-Regime bilden sie im Norden Iraks unter der Führung Dschalal Talabanis (geb. 1933) und Masud Barzanis (geb. 1946) die fünfte Kolonne. Die Sympathie des Westens ist auf der Seite Iraks. Man hofft, mit diesem Krieg Khomeini entfernen zu können. Das Blatt wendet sich jedoch bald. Die Iraner unternehmen erfolgreiche Vorstösse im Norden und Süden des Irak. Man bietet Khomeini einen Waffenstillstand an, doch dieser lehnt ab. Damit wird der Erste Golfkriegzum längsten konventionellen Krieg des letzten Jahrhunderts, ohne dass eine der beiden Seiten beachtliche Gebietsgewinne verzeichnen konnte. Der Krieg hinterliess auf beiden Seiten insgesamt 1,2 Millionen Tote und ein Heer von Kriegsversehrten. Gegen Schluss des Krieges wollte Saddam die Kurdenfrage einer Endlösung zuführen. Mehr als 4000 Dörfer wurden zerstört, 2000 davon dem Erdboden gleich gemacht. In Anlehnung an die 8. Sure des Korans „Al Anfal“ („Die Kriegsbeute“) startet Saddam die Al Anfal-Operation, das heisst die Giftgasangriffe, die unvorstellbares Leid über die Zivilbevölkerung bringen.
Im Zweiten Golfkrieg im Jahre 1991 greift der Irak Kuweit an. Die Alliierten stellen sich auf die Seite Kuweits. US-Präsident George Bush senior führt jedoch die Zerschlagung von Saddams Truppen nicht zu Ende, weil er die Destabilisierung des Iraks befürchtet. Ende Februar bis April 1991 erheben sich die Kurden Iraks gegen dieDivisionen Saddams. Es kommt zu einer Massenflucht von über einer Million Kurden nach der Türkei und in den Iran. Es sind die Peshmergas unter der Führung von Barzani, welche den Kurden eine einigermassen geordnete Flucht sicherstellen. Die Peschmergas sind in der Schlacht am Koreh-Pass erfolgreich gegen die Panzer von Saddam, was als Sieg Kurdistans über die irakische Invasion betrachtet wird. Um das Leid der kurdischen Flüchtlinge zu mildern, verhängen die Alliierten im Norden Iraks eine „No Fly Zone“ und etablieren anschliessend eine Schutzzone für die kurdische Bevölkerung. Dieses Protektorat ist der Grundstein für die Autonome Region des Irakischen Kurdistan, die ARIK.
Im Jahr 2003 beginnt mit der Invasion des Iraks durch Truppen aus den USA und Grossbritannien der Dritte Golfkrieg. Die Kurden vergessen die Hilfe nicht, welche sie von den USA im Zweiten Golfkrieg erhalten haben, und unterstützenbedingungslos die Vereinigten Staaten. Als das türkische Parlament wider Erwarten beschliesst, sein Territorium den USA nicht als Basis für Angriffe gegen den Irak zur Verfügung zu stellen, erlauben die Kurden den USA spontan den Bau von zwei Militärflugplätzen in ihrem Gebiet. Diese Loyalität fördert die Autonome Region des Irakischen Kurdistan ARIK und führt zur heutigen de facto Autonomie. Die ARIK hat in Arbil ein eigenes Parlament und einen eigenen Präsidenten.
Zu unserer Reise: Unser Flug über Wien nach Arbil mit der Air Austria verläuft problemlos. In Arbil, einer modernen Millionenstadt, allerdings ohne jeglichen öffentlichen Verkehr, werden wir in ein Fünfsternhotel einquartiert, das mit unserem Standard fast Schritt halten kann. Auf der Reise durchs Land sind die Unterkünfte allerdings bescheidener und weniger sauber, worauf wir jedoch geistig vorbereitet waren. Die Verpflegung war überaus reichlich, wenn auch nicht besonders reichhaltig. Gegrilltes Huhn, Lammfleisch, Reis und Fladenbrot wurden täglich serviert, dazu meistens auch Salat. Zum Trinken gab es kaum Alkohol, dafür abgepacktes Wasser und sehr süssen Tee.
Am ersten Abend in Arbil führte uns Werner van Gent in die Geschichte Kurdistans ein. Im Verlaufe der Reise folgten weitere Referate, so über den Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten, über des Reiseleiters persönliche Erlebnisse im Kriegsgebiet, aber auch über die Lage in Syrien und die schwierige Situation in Griechenland.
Am zweiten Reisetag begannen unsere langen Autofahrten. Wir legten rund 1’500 km zurück und reisten rund um Kurdistan, aufgeteilt auf drei Kleinbusse, stets gefolgt von einem Jeep mit drei bewaffneten Militärpersonen. Die Strassen sind teilweise neu und erstaunlich gut, teilweise voller Schlaglöcher, eng und immer wieder mit Schwellen ausgestattet, um die rasante Fahrweise der Kurden etwas abzubremsen. Nachdem man sich an die extrem kurzen Abstände zwischen den Autos oder die Parallelfahrten auf relativ engen Strassen gewöhnt hatte, gelang es recht gut, sich auf die zum grossen Teil wunderschöne Landschaft zu konzentrieren.
Bei gutem Wetter bewegten wir uns also Richtung Nordosten, recht nahe an die syrische Grenze, vorbei an etlichen Storchennestern auf Strommasten und blühenden Pistazienfeldern. Wir passierten Gaugamila, eines der wichtigsten Schlachtfelder der Antike, wo Alexander der Grosse 331 v. Chr. das gigantische Heer des Perserkönigs Darius III. geschlagen hat. Darius verfügte über gut 100’000 Mann, dazu Sichelwagen und Kampfelefanten, Alexander über höchstens die Hälfte Soldaten.
Am dritten Reisetag besichtigen wir das Regionale Armee-Kommando von Dohuk, anschliessend ging es weiter in die nahe der syrischen und türkischen Grenze gelegene Stadt Zakho. Dort besuchen wir eine Militärakademie, wo die ehemalige Peshmerga-Guerillatruppe zu einer modernen Armee ausgebildet wird. Zurück in Dohuk durften wir ein Gespräch mit General Laschim Zokar in seinem privaten Haus führen. Zokar ist ein ehemaliger Peshmerga-Kämpfer und mit Werner van Gent befreundet, seit dieser 1991 in jener Gegend als Journalist mit Medikamenten und Nahrungsmitteln unterwegs war.
Am vierten Reisetag erfolgt die lange Fahrt nach Rawanduz. Sie führt durch den wohl reizvollsten Teil Kurdistans mit hohen schneebedeckten Bergen und weiten, ausladenden Tälern. Das Wetter meint es jedoch leider nicht gut mit uns. Es ist kalt, regnerisch und nebelverhangen, so dass man die prachtvolle Landschaft nur erahnen kann. Unterwegs sehen wir die ehemalige Sommerresidenz von Saddam Hussein, der wie vieleIraker aus dem Süden der sommerlichen Gluthitze Bagdads zu entfliehen pflegte. Die riesige Anlage thront auf einem Hügel mitten in einem grossen Tal und geniesst einen überwältigenden Weitblick. Vor dem Mittag treffen wir am Barzani-Memorial ein, wo uns Sheikh Abdulla Barzani, ein Neffe des hier geehrten Kurdenführers Mustafa Barzani, begrüsst und uns bei sintflutartigem Regen in einem Zelt bewirtet. Das Grab Mustafa Barzanis und seines Sohnes Idris, des Bruders des heutigen Präsidenten von Kurdistan, Masud Barzani, ist wohltuend schlicht, nur der Duft der voll erblühten Narzissen ist betörend.
Gegen Abend treffen wir im idyllisch gelegenen Rawanduz auf knapp 1000 m ü. M. ein. Es scheint das St. Moritz von Kurdistan zu sein. Eine grosszügig konzipierte Hotelanlage mit lauter Einzelhäuschen empfängt uns. In den Zimmern ist es allerdings sehr kalt, und es dauert einen Moment, bis Heizung und Warmwasser funktionieren. Martin Budinsky, der die Gruppe bis hierher begleitet hat, nimmt sich unserer kleinen Mühen hilfreich an. Er hat einen ausgezeichneten Job gemacht, und wir lassen ihn alle nur ungern nach Hause zurückkehren.
Am fünften Reisetag fahren wir von Rawanduz aus zur Mine Action Agency, wo wir ein Gespräch mit dem Leiter der Minenräumungsgruppe sowie mit Pressevertretern haben. Weite Gebiete Kurdistans sind noch immer vermint. Acht bis zehn Millionen Personenminen aller bekannten Typen wurden im kurdischen Gebiet verlegt, vor allem durch irakische Truppen und primär im Ersten Golfkrieg. Seit 1998 waren mit der Räumung zunächst britische und deutsche Expertenteams beschäftigt, heute wird die Minenräumung durch die kurdische Regionalregierung organisiert und auch finanziert.
Nach einer langen Fahrt und bei besserem Wetter auf der strategisch wichtigen Passstrasse des Haj Umran treffen wir am Mittag auf 2000 m Höhe an der irakisch/iranischen Grenze ein, wo wir zusammen mit dem Direktor des Grenztores das Mittagessen einnehmen. Es handelt sichum den wichtigsten Handelsweg vom Iran nach der Türkei. Der Verkehr von Tankwagen, Gemüselastwagen und Autotransportern ist rege. Die Gegend des Grenztores war auch Standort von Mustafa Barzani bei der Organisation und Führung des kurdischen Widerstandes.
Am sechsten Reisetag dislozierten wir von Rawanduz nach Süleymanie, einer ebenfalls modern anmutenden Millionenstadt. Auf unserem Weg durch die reizvollen Streckenabschnitte passierten wir die ehemalige Landepiste der Alliierten, welche die Kurden den USA zur Verfügung stellten, die jedoch heute nicht mehr gebraucht wird.
Am siebenten Reisetag bekamen wir einen persönlichen Eindruck vom Grauen, welches die Giftgaseinsätze Saddam Husseins verursacht hatten. In Halabja, einem Hauptziel Saddams, wurde ein Memorial für die Al Anfal-Operationen errichtet. Die entsetzlichen Bilder der verstümmelten Opfer und noch mehr die grauenvollen Bilder von schwer verletzten, aber noch lebenden und schreienden Kindern lassen niemanden unberührt. Überaus eindrücklich ist auch der riesige Friedhof, wo sich unzählige Kindergräber befinden. Am Eingang steht auf einer grossen Tafel: „Mitgliedern der Baath-Partei ist der Zutritt verboten.“
Am achten Reisetag besuchen wir am Vormittag die Institution für kurdische Dokumente und Journalismus. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die Dokumente und damit die Geschichte Kurdistans seit 1991 aufzuarbeiten und so weit wie möglich auch frühere Dokumente zu sammeln. Anschliessend statten wir dem lokalen Museum einen Besuch ab, das im umgebauten, ehemaligen Zentrum des irakischen Sicherheitsdienstes eingerichtet wurde und anschaulich aufzeigt, wie grausam die Gefangenen dort gehalten und gefoltert worden sind. Es ist auch viel altes Kriegsmaterial vorhanden, was naturgemäss vor allem die Männer unserer Gruppe fasziniert.
Am neunten Reisetag geht es zurück nach Arbil. Dort treffen wir gegen Abend Nesreen Barwari, eine beeindruckende Frau, ehemals Ministerin für öffentliche Arbeiten in der ARIK. Mit der Verfassung von 2005 wurde ein Bekenntnis zur Demokratie verankert mit dem Ziel, den Dörfern mehr Autonomie zu gewähren. Die Hoffnung bleibt, dass die Kurden neben den heute 23 existierenden arabischen Staaten einst ein eigener, nicht arabischer Staat sein werden. Der Weg dorthin dürfte allerdings noch lang sein. Die Länder, die ebenfalls zahlreiche Kurden beheimaten, sehen die Autonomiebestrebungen ungerne, weil sie ein von ihnen nicht angestrebtes Präjudiz befürchten. Am Montagmorgen, dem Tag unseres Heimfluges, besichtigen wir in Arbil die osmanische Zitadelle, eine grossartige Anlage mit einer herrlichen Aussicht über die Stadt. Die grossenteils beschädigten Gebäude werden restauriert. Sie umfassen wunderschöne Malereien, die an den Glanz des einst mächtigen osmanischen Reiches erinnern. Ein letztes Gespräch findet im Büro für internationale Zusammenarbeit statt. Es wird uns nochmals aufgezeigt, welche gewaltige Leistung die Kurden seit den Zerstörungen im Ersten Golfkrieg erbracht haben. Die ARIK sei heute sicher, der Bruderkrieg zwischen Norden und Süden bewältigt. Man strebe eine wirtschaftliche Entwicklung an und würde sich über engere Beziehungen mit der Schweiz sehr freuen.
Eine von ihrer Reise mehr als befriedigte Gruppe trifft am Abend in Zürich ein. Ein grosser Dank geht an Werner van Gent, der uns zusammen mit der GMS dieses einmalige Erlebnis ermöglicht hat.
Text: Vreni Spoerry (Horgen)