Zehn Fragmente aus (s)einer bewegten und bewegenden Geschichte.
Freitag
08.20 Abfahrt in Landquart mit der Rhätischen Bahn nach Zernez. Mit dem Car weiter über den Ofenpass nach Müstair, Mittagessen im Hotel Chalavaina. Erläuterungen zur Schlacht an der Calven (1499) und zur Verteidigung der „Operationszone Alpenvorland“ (1943); Kaffeehalt (fak.) in Glurns, der kleinsten Stadt Italiens; Ettore Tolomei und der Kriegerfriedhof von Spondinig (1915 – 1918); Fahrt nach Meran. Abendessen und Übernachtung im Hotel Therme, Meran
Samstag
Einführung in den Tiroler Befreiungskrieg (1809) im Hotel; Besuch des Mausoleums von Erzherzog Johann und Fahrt ins Passeiertal. Halt beim Sandwirt und Besuch der neuen Andreas Hofer Ausstellung (Eröffnet 2009), Kaffeehalt (fak.). Weiterfahrt über den Jaufenpass, begleitet von der Geschichte der Kämpfer des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (1956-1968). Mittagessen auf dem Jaufenpass. Nachmittags Besuch der „Franzensfeste“, der mächtigsten Verteidigungsanlage aus der k. u. k. Zeit (1838). Mussolini, „Stahlpakt“ und „Option“ begleiten uns thematisch auf der Weiterfahrt nach Bozen; Stadtspaziergang von Walter von der Vogelweide zum umstrittenen Siegesdenkmal. Abendessen mit einheimischer Kost in Lana. Rückfahrt nach Meran. Übernachtung im Hotel Therme, Meran
Sonntag
Fahrt über den Gampenpass ins Val di Sole (Trentino); Besuch des Kriegsmuseums in Vermiglio (1915 – 1918) und des Festungswerkes von Strino. Nach dem Mittagessen Erläuterungen zu den Kämpfen im Adamello-Gebiet und zur letzten Offensive der k. u. k. Truppen im Südtirol. Weiterfahrt über Tirano nach Samedan. Rückfahrt mit der RhB nach Landquart (18.47 Ankunft in Landquart und individuelle Rückreise)
Reiseleitung
David Accola, Oberst i Gst, Eggiwil
Dr. Vrena Marty’s Reisebericht
Südtirol – Zehn Fragmente aus (s)einer bewegten und bewegenden Geschichte
In drei Tagen vermittelte Reiseleiter David Accola Einblicke in die 500-jährige Geschichte vom Südtirol, die Reise führte über 6 Pässe und bot kulinarische Köstlichkeiten aus dem Engadin und zwei italienischen Provinzen.
Es begann nach 8 Uhr in Landquart. Der strahlende Sonnenschein über den Bündner Bergen entschädigte alle für die frühe Tagwache. In Zernez bestieg die 23-köpfige Gruppe nicht einen Bus, sondern ein echtes Schweizer Postauto. Bereits auf der Fahrt über den Ofenpass wies Reiseleiter David Accola auf allerhand Interessantes in der Gegend hin, bevor er im «Museum 14/18» in Müstair die Einführung ins Reisethema gab. Zehn (Geschichts-)Fragmente hatte er ausgewählt und in der Dokumentation zusammengestellt, die dann je an den besuchten Orten vertieft und veranschaulicht wurden. Das machte Sprünge hin und her quer durch die Geschichte nötig.
Im Hotel Chalavaina, wo die Bündner Hauptleute 1499 ihren abschliessenden Kriegsrat hielten, genossen wir die erste von vielen Mahlzeiten mit Spezialitäten aus der jeweiligen Region; der Hausherr Jon Fasser garnierte sie ausserdem mit Reminiszenzen aus dem ehrwürdigen Haus. Nach der Landesgrenze durchfuhren wir das Gelände der Schlacht an der Calven von 1499, das wir jedoch vom Tartscher Bichl von der gegenüberliegenden Talseite aus besser betrachten konnten. Eindrücklich schilderte Reiseleiter Accola den Verlauf dieser im Rahmen des Schwabenkriegs wichtigen Schlacht, das Umgehungsmanöver der Bündner, die Vorgänge an der Letzi und den Sieg der Drei Bünde gegen Habsburg; allerdings hatten sie den Tod ihres Nationalhelden Benedikt Fontana zu beklagen. Vom gleichen Standort aus gerieten auch die Reste des von Benito Mussolini 1938–1942 erbauten und gegen seinen Verbündeten Adolf Hitler gerichteten Alpenwalls ins Blickfeld – wie plumpe Skulpturen liegen die hellgrauen Bunker in den grünen Matten. Insgesamt wurden im Südtirol 350 Infanterie- und Artilleriewerke errichtet; nicht alle wurden vollständig eingerichtet und kamen je zum Einsatz. Beseitigen kann man sie aber offenbar auch nicht, und bis der Zahn der Zeit sein Werk vollendet hat, dürfte es noch dauern.
Der Soldatenfriedhof in Spondinig samt seiner wechselvollen Geschichte, wo Südtiroler Soldaten (selbstredend mit deutschen Namen) aus dem Ersten Weltkrieg begraben sind, gab Anlass, die für das Südtirol verhängnisvolle Rolle des Ettore Tolomei (1865–1952) zu betrachten. Dieser, studierter Sprachwissenschafter und zeitlebens ein prominenter Faschist, war bereits ab 1901 bestrebt, das Südtirol ins italienische Königreich zu integrieren; er übersetzte innert 4 Wochen rund 40’000 geografische Bezeichnungen auf Italienisch mit dem Ziel, eine angebliche Italianità des Südtirols vorzugaukeln. Auch vor deutschen Vor- und Familiennamen machte er nicht Halt. Die geografischen Bezeichnungen sind bis heute gültig. Auf der Weiterfahrt durch den Vinschgau fielen die prallvollen, kurz vor der Ernte stehenden Apfelplantagen auf. In Meran, wo wir fürstlich untergebracht waren, fand sich am Abend sogar Zeit für einen Spaziergang durch die schöne Altstadt oder ein erholsames Bad im Hotel.
Der zweite Tag bescherte uns nochmals strahlendes Sommerwetter. Vor der Fahrt ins Passeiertal zum ehemaligen Wohnhaus von Andreas Hofer, das lange schon Museum ist, führte Reiseleiter Accola in den Freiheitskampf der Südtiroler von 1809 ein. Sowohl der Film wie die neugestaltete Dauerausstellung veranschaulichen trefflich die damaligen Geschehnisse. Auf der anschliessenden spektakulären Fahrt auf den Jaufenpass – von 693 m auf 2094 m ü. M. – vermittelte der Reiseleiter die wechselvolle Geschichte des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) und einzelner ihrer Protagonisten samt der internationalen Vorgeschichte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Wenn immer Postautochef Gian Janett das vertraute Posthorn erklingen liess, erntete er Applaus; bloss ein Passant fragte mit Blick auf den gelben Bus mit dem GMS-Signet, ob er sich verfahren habe … Im schön gelegenen Kalcherhof wurden wir beim Mittagessen wiederum reichlich mit Spezialitäten verwöhnt.
Ab Sterzing ging’s auf der Überlandstrasse das Eisacktal hinunter zur Franzensfeste , erbaut 1833–1838. Kaiser Franz I. wollte – in Erinnerung an den französischen Einmarsch von 1809 – Tirol vor Angriffen aus Norden schützen. Die Anlage war mit rund 1200 Mann belegt, wurde aber nie in kriegerische Ereignisse verwickelt. Seit gut 10 Jahren ist sie deklassiert und der Öffentlichkeit zugänglich. Auf einem Rundgang war zu erfahren, dass sie während des Zweiten Weltkriegs u.a. als Golddepot Italiens gedient habe. Heute finden in ihren Mauern allerhand kulturelle Veranstaltungen statt. Einige Teilnehmer erklommen die 410 Treppenstufen zur oberen Festung und genossen den Rundblick, die Mehrheit erholte sich unter Sonnenschirmen bei einem Bier von der Hitze.
Weiter ging’s nach Bozen, das italienischer wirkt als Meran. Der Stadtspaziergang führte am Denkmal des Minnesängers Walter von der Vogelweide vorbei durch die Laubengänge zum faschistischen Siegesdenkmal. Dieses präsentiert sich seit langem als abgesperrter und von Videokameras gesicherter Bauplatz – aus Vorsicht wegen Unruhen? In der dahinter befindlichen Siegessäule sind noch die Zahlen der faschistischen Zeitrechnung eingraviert. Auf dem Gerichtsplatz fanden wir uns unversehens zwischen mächtigen Bauten jener Epoche, die gut unterhalten und noch immer im Gebrauch sind. Auf der Weiterfahrt nach Lana kündigte sich ein Wetterwechsel an, der sich während des vorzüglichen Nachtessens in einem Südtiroler Buschenschank infolge von Blitz und Donner mit Stromausfall bemerkbar machte. Mittels Displays verschiedener Handys konnten die Fleischplatten sichtbar gemacht werden, bis Kerzen zum Einsatz kamen. Der guten Stimmung tat das keinen Abbruch – im Gegenteil.
Am dritten Tag regnete es nur einmal, nämlich von Meran bis Zernez. Schade um die gefahrene „Bilderbuchroute“. Auf der Fahrt über das Gampenjoch und die Grenze in die Schwesterprovinz Trentino referierte Reiseleiter Accola über das Ende des Ersten Weltkriegs und das Autonomiestatut Südtirol/Trentino. Wir besichtigten das Museo della Guerra di Vermiglio, welches die Kämpfe oberhalb des Tonale-Passes von 1918 thematisiert, doch der Besuch des österreichischen Festungswerks Strino von 1860 fiel dem Dauerregen zum Opfer. Auf der Fahrt zum Mittagessen in einem Agriturismo oberhalb von Temù vollbrachte der Chauffeur ein wahres Wunder an fahrerischem Können auf dem steilen engen Fahrsträsschen bei strömendem Regen. Die tropfende Schar wurde vom Wirt lombardisch bestens verpflegt, der gespendete Grappa sehr verdankt. Nachdem bereits auf dem Tonale-Pass die Grenze zur Lombardei überquert worden war, führte die Strasse kurz nach dem Aprica-Pass ins Veltlin. Mit Spannung sahen wir dem Bernina-Pass entgegen: Schnee? Es hatte (noch) keinen. Nach der Abstattung des Dankes an Reiseleiter und Chauffeur bestiegen wir in Zernez den vorgesehenen Zug, der uns nach Landquart zum Ausgangspunkt der Reise zurückbrachte.
Nicht unerwähnt bleiben sollen die vorzügliche Dokumentation sowie die 3 DVD mit Filmausschnitten zur Geschichte des Südtirols, die Reisleiter David Accola für diese Reise ausgewählt und jedem Teilnehmer zugestellt hatte.
Text: Dr. Verena Marty (Zollikon)