Tagungsleiter: Oberst Dieter Kläy
Universität Zürich,Hauptgebäude Rämistrasse 71, Raum KOH-B-10
Thema: Calling Jenatsch – Bündner Wirren
mit den Referenten Dr. Andrea Kauer, Direktorin Rätischisches Museum Chur, Manuel Janosa, Grabungstechniker und Projektleiter Auswertung Kathedrale Chur & Jenatsch-Grab und PD Dr. Hans Rudolf Fuhrer.
Samstag, 22. Februar 2020 um 0945 – 1200 an der Universität Zürich Zentrum, im Raum KOH-B-10, Hauptgebäude Rämistrasse 71.
Der Tagungspreis von Fr. 40.00 ist an der Tageskasse zu entrichten.
Zusammenfassung von Dieter Kläy: „Auf den Spuren von Jürg Jenatsch“:
Auf den Spuren von Jürg Jenatsch
Die GMS-Frühjahrstagung «Calling Jenatsch» –Jörg Jenatsch im Dreissigjährigen Krieg – drehte sich um die Bündner Wirren während des Dreissigjährigen Krieges. GMS-Reiseleiter Hans-Rudolf Fuhrer, die Leiterin des rätischen Museums Andrea Kauer und der Bauforscher und Grabungstechniker Manuel Janosa vom archäologischen Dienst des Kantons Graubünden befassten sich vor 120 lauschenden Zuhörern mit einer umstrittenen Persönlichkeit.
Im Dreissigjährigen Krieg waren die Bündner, wie Hans-Rudolf Fuhrer in seinem einleitenden Überblick festhielt – nicht nur Zuschauer, wie der Rest der damaligen Eidgenossenschaft, sondern Teil wirrer Auseinandersetzungen. Europaweit standen sich zwei Koalitionen gegenüber: Frankreich-Venedig und Spanien-Österreich. Graubünden war wegen seiner strategischen Lage im geografischen Kreuzungspunkt der beiden Koalitionen und wegen seiner Pässe von besonderem Interesse. Komplizierte konfessionelle Verhältnisse waren Teil der Auseinandersetzungen. Die wahren Motive waren eher weltlicher und wirtschaftlicher Natur.
Die Bündner Wirren lassen sich grob in zwei Phasen unterteilen. Von 1603 bis 1623 wollten die Bündner die Veltlin-Achse in der Hand behalten, ihre Autonomie wahren und Handel betreiben. Das Herzogtum Mailand, das zu Spanien gehörte, erhob vor allem wegen Österreich ebenfalls einen Anspruch auf die Achse. Es war die Zeit des Kampfes der Reformierten, repräsentiert durch die Familie von Salis und auch Jörg Jenatsch, gegen die Katholiken, repräsentiert durch die Familie von Planta. Jenatsch trat am Strafgericht von Thusis als fanatischer Gegner der spanisch-katholischen Partei auf und war 1618 mitverantwortlich für den Justizmord an Nicolò Rusca, Erzpriester von Sondrio. Der eigentliche Auftakt zu den Bündner Wirren war der Veltliner Mord vom 18. und 19. Juli 1620, als italienische Söldner ins Veltlin eindrangen und die katholische einheimische Führungsschicht für einen Aufstand gegen ihre mehrheitlich reformierten Bündner Landesherren gewannen. Rund 500 Protestanten wurden getötet und Hunderte von Angehörigen der Bündner Führungsschicht mussten das Gebiet verlassen. Jenatsch konnte entkommen. Die Ermordung Rudolf von Plantas am 25. Februar 1621 durch Jörg Jenatsch führte zu einer Intervention durch die Österreich-Habsburger. In der Folge kam es 1622 zum Bauernaufstand im Prättigau, wo die Österreicher rausgeworfen wurden, was wiederum eine zweite habsburgische Intervention mit einer weiteren Rekatholisierungsphase nach sich zog.
Die zweite Phase von 1623 bis 1639 war bestimmt durch die französische Intervention. Kardinal Richelieu stellte ein Heer bereit, um die Reformierten zu unterstützen. Die Befreiung erfolgte im Oktober 1624. Die Rekatholisierung wurde rückgängig gemacht. Wichtigste Phase war die Intervention Frankreich im Jahre 1635. Die für Graubünden entscheidende von insgesamt fünf Armeen war die Elsass-Armee des reformierten Herzogs von Rohan, Henri II, der im Auftrag Richelieus von Tirano aus erfolgreich einen Zweifrontenkrieg gegen Spanien und Österreich führte. Am 5. Mai 1637 musste er das Land verlassen und starb am 13. April 1638. In der Bilanz konnte sich die Reformation in Graubünden halten.
Vorbehalte gegen die Heroisierung
Die Direktorin des 1872 gegründeten rätischen Museums, Andrea Kauer, knüpfte in ihren Ausführungen zu Jörg Jenatsch an Conrad Ferdinand Meyer (1825 bis 1898) an. Meyer setzte sich in seinem 1876 erschienenen Roman intensiv mit Jenatsch auseinander und löste für diesen einen Begeisterungsschub aus. Als «gesetzloser Kraftmensch» beschrieb ihn Meyer mit dem Willen, seine politischen Ziele zu erreichen. Nach Auffassung von Kauer ist die historische Bedeutung Jenatschs im Nachgang betrachtet viel kleiner als seine Bedeutung als literarische Figur. Jenatsch wurde 1596 geboren und verbrachte seine Kindheit in Silvaplana, wo sein Vater Pfarrer war. Auch für Jörg war eine kirchliche Karriere geplant. 1610 lernte er am Carolinum in Zürich Mitschüler der Bündner Oberschicht kennen. Nach Studien der Theologie 1616 und 1617 in Basel kehrte nach Graubünden zurück, wurde evangelischer Pfarrer in Scharans und heiratete die Tochter eines Söldnerführers aus Davos. Damit begann sein sozialer Aufstieg. 1620 übernahm er in Veltlin eine reformierte Kirchgemeinde, musste aber im Zuge der Veltliner Morde fliehen. Später mutierte er vom Geistlichen zum Soldunternehmer und warb im Auftrag Venedigs junge Leute für den Kriegsdienst an. 1635 war er an der Rückeroberung des Veltlins beteiligt und wurde in der Armee des Herzogs von Rohan Oberst. Aus opportunistischen Gründen konvertierte er 1635 zum Katholizismus und wandte sich 1637 gegen Henri II. Danach legte er sich immer stärker mit den Vertretern der Bündner Oberschicht an. Immer mehr Weggefährten wandten sich von ihm ab. Am 24. Januar 1639 wurde er in Chur in der Wirtschaft zum «staubigen Hüetli» während einer Fasnachtsfeier von einer verkleideten Person mit einer Axt erschlagen. Der Mörder wurde nie identifiziert und die Ermittlungen nach der Täterschaft wurden rasch eingestellt.
Leichnam und Originalporträt gefunden
Manuel Janosa, Bauforscher und Grabungsleiter beim archäologischen Dienst des Kantons Graubünden, war von 2003 bis 2007 mit Grabungsarbeiten an der Kathedrale von Chur beschäftigt, als er immer stärker mit der Frage nach dem Grab Jenatschs konfrontiert wurde. Unter der Leitung des führenden Schweizer Anthropologen Erik Hug erfolgte bereits 1959 eine erste Exhumierung. Da Hug darüber nie publizierte, fehlten Informationen zu den Ergebnissen. 2009 stiess Janosa im Kloster Einsiedeln auf detaillierte Unterlagen über die Exhumierung Jenatschs durch den 1991 verstorbenen Hug. Sie erwiesen sich als Volltreffer. Da viele Fragen unklar blieben, wurde Jenatsch vom 14. bis 16. März 2012 ein zweites Mal exhumiert. Ein DNA-Abgleich mit Nachfahren, 1959 war ein solcher noch nicht möglich, lässt mit höchster Wahrscheinlichkeit den Schluss zu, dass es sich bei der exhumierten Person tatsächlich um Jörg Jenatsch handelte. Ein zweiter Erfolg war Janosa beschieden, als er im Palais Besenval auf der Schweizer Gesandtschaft in Paris auf das Originalgemälde von Jenatsch stiess, das dieser anlässlich seines 40. Geburtstags 1636 anfertigen liess.
Mehr über Jenatsch lässt sich im rätischen Museum in Chur in Erfahrung bringen: www.rm.gr.ch
Dieter Kläy