Thema: Der Ausbruch des ersten Weltkrieges – Als in Europa die Lichter ausgingen
Samstag, 22. Februar 2014, 0945 – 1215 Uhr, Universität Zürich Zentrum KOH B-10
mit Referaten von Hans Rudolf Fuhrer, Manfried Rauchensteiner und Michael Epkenhans
150 GMS Mitglieder und Gäste, darunter der österreichische Botschafter in der Schweiz, Jürgen Meindl, folgten den Referenten zu den Hintergründen des Kriegsausbruchs von 1914.
Der Erste Weltkrieg war und ist in der Schweiz ein wenig interessierendes Thema. Er wird verkürzt auf die „4 G für Grenzbesetzung, Gilberte de Courgenay, Generalstreik und Grippeepidemie“, konstatierte Hans Rudolf Fuhrer in seinem Einstiegsreferat. Der Zweite Weltkrieg habe den ersten zugedeckt. Man muss sich aber die Frage stellen: Warum nicht durch die Schweiz? Die Neutralitätsverletzung durch die Kriegsparteien war gemäss Fuhrer durchaus eine Operationsoption. Die Gründe, dass es dann doch nicht passiert ist, liegen gemäss Einschätzung von Fuhrer einerseits im deutschen Generalstab, der die Schweiz als Nichtobjekt bezeichnet hat, im Gegensatz zum Generalstab Frankreichs. In keiner Phase des Krieges gab es Absichten der Deutschen für einen Durchstoss durch die Schweiz. Zweitens war die Glaubwürdigkeit der Landesverteidigung ein wichtiger Aspekt. Es gibt viele Quellen die belegen, dass die Landesverteidigung der Schweiz damals als glaubwürdig bezeichnet wurde. Diese Ansicht teilte Schlieffen, der daraus folgerte, dass ein Stoss durch Belgien und Luxemburg einfacher sei. Zudem gab es auch andere Gründe, wie zum Beispiel kulturelle oder neutralitätspolitische.
Die Entfesselung des Krieges
Der bekannte österreichische Historiker Manfried Rauchensteiner zeigt sich davon überzeugt, dass nach dem Doppelmord der Krieg in Wien, aber auch in Berlin entfesselt wurde. Spätestens seit 1908 hatte Österreich-Ungarn ein gespanntes Verhältnis zu Serbien. Ab 1909 verschlechterte sich die Lage dramatisch. Das Osmanische Reich fiel den Serben und den Montenegriner in die Hände. Serbien wurde neue Seemacht im Mittelmehrgebiet. Das wollten auch die Italiener nicht. Die Londoner Konferenz zwang Serbien, sich zurückzuziehen. Im Ergebnis wurde Albanien geschaffen. Serbien zielte auf Krieg und wurde durch Russland unterstützt. Mit dem Attentat von Sarajevo und dem Doppelmord an Thronfolger Franz Ferdinand und seiner Frau Sophia Hohenberg im Juni 1914 änderte sich die Lage dramatisch. Zwar wurde dieser Tod nicht gross betrauert. Aber es war ein Symbol getötet worden. Kaiser Franz Josef fällte zwischen dem 30. Juni und dem 2. Juli 1914 den Entschluss zum Krieg. In den folgenden Tagen erhielten die Militärs bei Franz Josef viel Audienzzeit. Es waren alles nicht protokollierte Vieraugengespräche. Der Gesandte Hoyos ging nach Berlin und holte die Unterstützung durch das Deutsche Reich ab. Auf Intervention des ungarischen Ministerpräsidenten wurden die Hintergründe des Attentats untersucht. Die Attentäter wurden dingfest gemacht. Es wurde bekannt, dass Serbien eine aktive Rolle gespielt hat.
Der Entschluss zum Krieg fand breite Zustimmung. Die Dokumente zur Entfesselung des Kriegs waren bereits Mitte Juli 1914 geschrieben und in 12 Sprachen übersetzt. Die Reaktion war Enthusiasmus und Euphorie. Es gab kaum einen Intellektuellen oder einen Künstler, der den Kriegsentschluss nicht unterstützt hätte. Das Debakel der habsburgischen Elite zeichnete sich aber schnell ab. Es kam zum Zweifrontenkrieg gegen Serbien und Russland. Bewaffnungsmässig war man nicht auf dem neusten Stand. Bis Anfang 1915 musste die Kriegsmaschinerie zuerst raufgefahren werden. Die Generalität war von Beginn an überfordert. Es kam zu grossen Rochaden in der Heeresführung. Die Verluste waren gross. Die Deutschen leisteten zwar Unterstützung und drängten die Russen zurück, konnten aber aus sprachlichen Gründen nicht oder nur beschränkt die multiethnischen Truppen des Habsburgerreichs führen. Als dritte Front kam Italien. Nach dem Tod von Franz Josef am 21. November 1916 suchte Thronfolger Karl I den Friedensschluss, scheiterte aber. Die Isonzoschlacht von 1917 brachte kurzfristig den Durchbruch. Die Österreicher standen vor Venedig und glaubten nochmals an den Sieg. Aber es war ein Pyrrhussieg. Die USA traten in den Krieg ein und das Blatt wendete sich endgültig.
„Je eher, desto besser“
Die deutsche Seite des Kriegsausbruchs beleuchtete Professor Michael Epkenhans. In seinem Referat ging er der Frage nach, ab wann und unter welchen Bedingungen der Generalstab ein Präventivkrieg gegen die immer stärker werdenden Mächte, vor allem aber gegen Russland, vorbereitet hatte. „Je eher desto besser“ wurde zum geflügelten Wort und versinnbildlicht die Denkweise von damals. Treibende Kraft war Moltke der Jüngere, der spätestens im Mai 1914 in seiner Funktion als Generalstabschef den Gedanken des Präventivkriegs kommunizierte. In zahllosen Denkschriften warnten die Militärs damals vor dem angeblich drohenden Untergang des Reiches durch einen seitens der Mächte der Entente herbeigeführten Krieg. Wirkliche Belege dafür hatten sie allerdings nicht. Die Verantwortung aber nur auf die Militärs abzuschieben, greift zu kurz. Es war die Politik, die im Juli 1914 entschieden hatte, die Krise zu einem politischen Vabanque-Spiel zu nutzen. Die Militärs haben in diesem Zusammenhang das getan, was ihre Aufgabe war: die notwendigen Pläne vorgelegt und mögliche Szenarien aufgezeigt.
Dieter Kläy, Vorstandsmitglied
Die zweite Tagung zum Ersten Weltkrieg findet am 8. November 2014 statt.
Buchempfehlungen:
Manfried Rauchensteiner: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, 2013, 1222 S., gebunden, ISBN: 978-3-205-78283-4
Nach der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand in Sarajevo stand fest, dass es Krieg geben würde. Kaiser Franz Joseph wollte es und in Wien rechnete man durchaus mit der Möglichkeit eines grossen Kriegs. Wie der Krieg entfesselt wurde und bereits Wochen später Österreich-Ungarn nur deshalb nicht zur Aufgabe gezwungen war, weil es immer wieder deutsche Truppenhilfe bekam, hat bis heute nichts an Dramatik verloren. Zwei Monate vor seinem Tod verzichtete der österreichische Kaiser auf einen Teil seiner Souveränität und willigte in eine gemeinsame oberste Kriegsleitung unter der Führung des deutschen Kaisers ein. Der Nachfolger Franz Josephs, Kaiser Karl, konnte das nie mehr rückgängig machen. Auch ein Teil der Völker Österreich-Ungarns fürchtete die deutsche Dominanz. Das Buch beruht auf jahrzehntelangen Forschungen und bleibt bis zur letzten Seite fesselnd, obwohl man das Ende kennt. Viele Zusammenhänge werden aber erst jetzt klar. Rauchensteiner sieht den Ersten Weltkrieg als Zeitenwende.
Erika Hebeisen, Peter Niederhäuser, Regula Schmid (Hg.): Zürich während des Ersten Weltkriegs. Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Band 81, 2014. 239 S., 190 Abb., ISBN 978-3-0340-1221-8
Der «grosse Krieg» von 1914–1918 markiert eine Zeitenwende und den blutigen Auftakt der Moderne. Die Erinnerung an das mit Not und Leid verbundene Geschehen prägt die europäische Geschichte und steht 2014 im Zentrum von Gedenkveranstaltungen. Die Schweiz und der Kanton Zürich waren zwar militärisch nicht involviert, indirekt aber sehr wohl vom Krieg und seinen Auswirkungen betroffen. Aktivdienst und Rationierungsmassnahmen, soziale Unruhen und die Betreuung von Flüchtlingen und Internierten bestimmten den Alltag in Zürich.